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Öffentlichkeit der Verfolgung

Erst sehr spät haben sich Forschung und Öffentlichkeit in der Bundesrepublik der Tatsache gestellt, daß Diffamierungen, körperliche, psychische und soziale Verletzungen sowie Mordtaten aus politischen und/oder rassistischen Gründen der deutschen Gesellschaft nicht verborgen waren. Viele Tatorte waren Orte des Alltags, wie zum Beispiel das AOK-Gebäude in der Fallerslebener Strasse in Braunschweig, das den Nationalsozialisten ab März 1933 als Folterkeller diente. Dieses Bild der Verbrechensorte als Orte des Alltags haben Forschungsergebnisse bestätigt, die das „Hinnehmen und Mitmachen der Vielen“ (Alf Lüdtke) im Nationalsozialismus herausgearbeitet haben. 

Regionalstudien zeigen beispielsweise, daß die Ermittlungen der Gestapo sehr häufig durch denunziatorische Aktivitäten aus der Bevölkerung ausgelöst wurden: Vielfach beteiligte sich die Bevölkerung selbst aktiv an Verfolgungsmaßnahmen. 

In Niedersachen lassen sich Spuren der nationalsozialistischen Verfolgungen und Verbrechen an über 500 Orten finden – flüchtige Orte wie den Bahnhof nicht eingerechnet, auf dem für alle sichtbar Deportationszüge auf ihrem Weg von Westerbork nach Auschwitz hielten. 

So waren die örtlichen Gesundheitsämter und Erbgesundheitsgerichte für die Zwangssterilisationen zuständig. In den chirugischen Abteilungen der Allgemeinkrankenhäuser wurden die Operationen durchgeführt. Ärzte, Anstaltsdirektoren, Pflegepersonal, Hebammen, Gesundheitsbeamte und Richter: eine Vielzahl von Berufsgruppen war in die Durchführung der Zwangssterilisationen involviert. 

Aus den Heil- und Pflegeanstalten wurden Patientinnen und Patienten abtransportiert oder verhungerten dort, wie in der Anstalt Wehnen bei Oldenburg. In der Bevölkerung war dies kein Geheimnis. 

Selbst die Konzentrations- und Strafgefangenenlager waren nicht so abgeschottet, wie es die kollektive Erinnerung Glauben machen will: Das KZ Moringen lag mitten im Ort; zu den Emslandlagern, über die ausführlich in den Zeitungen zu lesen war, unternahm die lokale Bevölkerung Sonntagsausflüge (woraufhin das Fotografieren verboten wurde). 

In der Großstadt Hannover existierten bis 1945 sieben Außenlager des KZ Neuengamme. Lager für Zwangsarbeiter gab es in fast allen Städten, Gemeinden oder Dörfern, so zum Beispiel im südniedersächsischen Volpriehausen, in Uelzen, Lüneburg oder Wilhelmshaven. Mit fortschreitender Kriegsdauer wurden die fremden Verschleppten zur alltäglichen Erfahrung, die vielen Angst machte. Haß und Angst entluden sich kurz vor Kriegsende in Lynchmorden – ohne direkten Befehl „von oben“.